Rathaus Dürrwangen

Anno 1796 erbaute Christian Hähnle, Ochsenwirt, mit seiner Ehefrau Anna das Haus

Diese Inschrift des Sturzbalkens des ehemaligen Scheunentors kam im Jahr 1980 zutage, als Mitglieder der Volkstanzgruppe mit der Freilegung des Fachwerks die Bretterleibung der Toröffnung entfernten. Ein Geheimnis war gelüftet. Doch zugleich stand ein neues im Raum. Das ehemalige Rathaus der bis zum 31.3.1937 selbständigen Gemeinde Dürrwangen soll von einem Privatmann erbaut worden sein? Und dazu noch in einer politisch wie wirtschaftlich sehr schweren Zeit? Europa war im Umbruch. Das Reich und damit auch das Herzogtum Württemberg befand sich im Krieg mit der jungen, revolutionären französischen Republik. General Moreau und Erzherzog Karl von Österreich zogen mit ihren Truppen durch Südwestdeutschland und lieferten sich da und dort Kämpfe. Derjenige, der sich in dieser schweren Zeit entschloß ein derartiges Haus zu bauen, mußte Geld und Mut haben. Dieser Mann war der im Jahr 1744 in Eckenweiler, heute ein Stadtteil von Rottenburg, geborene Christian Hähnle, der 1770 die gleichaltrige Anna Neher, Tochter des Ochsenwirts Georg Neher aus Dürrwangen heiratete. Das Paar ließ sich in Dürrwangen nieder. Christian Hähnle übernahm den Ochsen, der auf der anderen Straßenseite, auf dem Platz des heutigen Cafe Catrina stand und erst im Jahr 1968 abgebrannt ist. Das Ehepaar Hähnle war 52 Jahre alt, als es 1796 diesen Neubau erstellte, nicht als Rathaus, sondern als das stattlichste und größte Wohn- und Ökonomie-gebäude Dürrwangens, mit einer großzügigen, zweigeschossigen Wohnung, Stall, Scheune, zwei Remisen und einem großen, gewölbten Keller. Das prächtige Fachwerkhaus war sicher der Ausdruck erfolgreichen Wirtschaftens und hohen gesellschaftlichen Ansehens, das Christian Hähnle, der zum Richter im Kirchenkonvent gewählt worden war, damit zum Ausdruck bringen wollte. Doch schon 4 Jahre nach dem Bau des Hauses starb seine Ehefrau Anna. Mit ihr schien ihn auch das Glück verlassen zu haben. Im Jahre 1805 bezeichnete er sich nach eigener Aussage als mittellos. Er hatte sein Haus verloren. Gottlob Ulrich Strasser, Kaufmann, 1759 in Öfingen in der Baar geboren, übernahm das Haus und betrieb darin ein Handelsgeschäft von überörtlicher Bedeutung. Er betrieb es bis zu seinem Tod am 8.1.1837. Eine Anzeige im Amtsblatt für das Oberamt Balingen gibt Kenntnis über die Art des Geschäftes. Es heißt dort: Dürrwangen bei Balingen – Verkauf eines Warenlagers und sonstiger Fahrnis. Die Erben des unlängst verstorbenen Kaufmanns Gottlob Ulrich Strasser wollen am Montag, den 20.2.d.J. und nach Umständen an den folgenden Tagen, von morgens 8 Uhr an, gegen eine gleich bare Bezahlung eine Fahrnis-Auktion abhalten, wozu die Liebhaber eingeladen werden. Namentlich werden zum Verkauf kommen: Bücher, Mannkleider, Bettgewand, Leinwand, Küchengeschirr, Schreinwerk, Faß- und Bandgeschirr, allerlei Hausrath, Fuhr- und Bauerngeschirr, worunter insbesondere ein guter zweispänniger Wagen, sodann Waren von verschiedenen Farben und Qualitäten, namentlich Wasserband, seidene Litzen, Miederzacken, Florett-, Nestel- und Zwilchband, Leinene Band, seidene und baumwollene Rundschnüre, Tuchspitzen, Herrnhuter Band, Lotband, Zwilchband, Bratten, wollene Zackenband, Nähseiden, Rollband, Hemdknöpfe, baumwollener und leinener Faden, Kamelgarn, Türkenborten, Tress- und halbseidene Gurten, lederne und baumwollene Hosenträger, Golgas, Kardis, Sammet, Manchester, Neucords, Thyksets, Manns-, Kinder- und Frauenstrümpfe, schwarze und weiße baumwollene Kappen, Multon, Futterflanelle,weißes Kipperband, wollene Zeuge, Krepp, Camlots, Tücher, Ganzleinwand, Canevas,Sarsnets, Nastücher seidene und baumwollene Halstücher, Westenzeuge, Sammetband, gedruckte Casimirkappen und Schuhe, Lastings, Bettbarchent, Trilch, Seidenwatt, Vieh- und Pferdepulver, Amens, Haften, hölzerne, beinerne und Metallknöpfe, Steifleinwand, Kinderhauben mit und ohne Perlen, Perlenbeutel, Hosenträger-Gurten. Gottlob Ulrich Strasser war Textilhändler. Haute-Couture in Dürrwangen, betrachtet man all die Waren mit ihren teilweise französischen Namen, bei denen man Kenner sein muß, um überhaupt zu wissen, was sie bedeuten! Sicher haben nicht nur die Einheimischen bei ihm gekauft. Das wäre keine Lebensgrundlage für ihn gewesen. Er wurde ausdrücklich als wohlhabender Handelsmann bezeichnet mit Handelsbeziehungen zu Firmen im württ. u. badischen Schwarzwald, im Oberland und in der Schweiz. Die Witwe löste das Geschäft auf. Sie zog nach Balingen. Daher verkaufte sie mit dem Warenlager auch die Fahrnis.Und mit dem Verkauf des Inventars wurde das Haus zum Kauf angeboten! Dürrwangen war damals ein kleines, durchaus wohlhabendes Bauerndorf, mit zum Teil guten landwirtschaftlichen Böden, aber wie die meisten Dörfer hatte es kein Rathaus. Der Vogt, ab 1822 Schultheiss genannt, amtete in seiner Wohnstube. Der Arbeitsanfall war sicher gering. Besondere Amtshandlungen, sogenannt Amtstage für Rechnungsabhör durch den Oberamtmann, Erbteilungen und Kaufhandlungen von Grundstücken wurden nachweislich bis 1837 in der oberen Stube des Gasthauses zum Ochsen abgehalten. Nun bot sich für die Gemeinde Dürrwangen die Möglichkeit an zentraler Stelle im Ort ein Rathaus zu bekommen, wie geschaffen für diese Zweckbestimmung. Kein kleiner bäuerlicher Ort im Umkreis konnte sich damit messen! Das Haus war für die Bedürfnisse wie geschaffen. Ein großer Amtsraum im Erdgeschoß, Stall und Scheune für die Farrenhaltung. Die Remisen, oder wie man bei uns sagt, die Schöpfe für die Feuerwehr, die Gemeindemosterei und die Gerätschaften, die eine Gemeinde für ihre Bürger bereithalten mußte.

Die geräumige Wohnung im Obergeschoß konnte der Justizverwaltung als Wohn- und Dienstsitz für einen der drei Notariatsbezirke des damalingen Oberamtes Balingen angeboten werden.Am 27.2.1837 waren sich Gemeinderat und Erben handelseinig, einen Tag später erfolgte die Genehmigung durch das Oberamt und am l0. April 1837 bestätigte die Witwe Anna Christina Strasser den Empfang des Kaufpreises, nämlich 3.300.-Gulden. Das Haus wurde instandgehalten, wie es für notwendig erachtet wurde. Mehr nach Grundsätzen der Zweckmäßigkeit wie der Schönheit. Sieben der 14 Fenster des Giebels wurden zugemauert, das Sichtfachwerk zugeputzt. Beinahe auf den Tag genau loo Jahre war das Gebäude das Rathaus von Dürrwangen. Am 31.3.1937 hörte Dürrwangen als selbständig zu bestehen auf. Ab 1.4.1937 war es Teil von Frommern. Der Sitz der Gemeindeverwaltung war dort. Den damaligen Amtsnotar hielt es auch nicht mehr im Gebäude. Im Jahr 1938 bezog er sein neuerbautes Haus in der Balinger Strasse. Er erhielt die Erlaubnis auch seine Diensträume in sein Privathaus zu verlegen. Nur die Farrenhaltung blieb bis zu ihrer Auflösung zu Anfang der 1960er Jahre. Später diente der Ökonomieteil als Garage und Aufbewahrungsort von Gerät und Maschinen der Gemeinde. Die Wohnung wurde vermietet und später, in der Zeit der großen Wohnungsnot aufgeteilt. Zeitweise wohnten drei Mietpartien im Haus. Die Verwendung des Amtsraumes spiegelt sehr die Not und die Probleme der vergangenen 50 Jahre. Er fand eine sehr wechselvolle Verwendung, meist aus Not. War er doch zeitweilig Schulraum später vergittertes Arrestlokal für französische Kriegsgefangene im 2.Weltkrieg. Als die Dürrwanger nach dem 2. Weltkrieg mit Vehemenz ihre Ausgemeindung von Frommern betrieben, was der Landtag von Württemberg-Hohenzollern im Jahr 1947 ablehnte, richtete man als Kompromiß zur Besänftigung der Dürrwanger für einige Jahre eine Geschäftsstelle der Gemeindeverwaltung ein. Ein Ortsvertrauensmann, der Bürgermeister und der Gemeindepfleger hielten Sprechstunden ab. Dies lief in den 1960er Jahren aus. Die Dürrwanger und Frommerner hatten sich so aneinander gewöhnt, daß es dieses Aufwands nicht mehr bedurfte. Alles schlief so peu à peu ein, ohne daß sich jemand darüber aufregte. Später, für einige Jahre, machte man den Amtsraum zu einer Wohnung. Dann wurde er wieder öffentlich genutzt als Ortsbücherei von Frommern-Dürrwangen. Es waren ständig wechselnde Nutzungen. Doch dann trat für jenen Raum und somit für das ganze Haus nochmal eine komunale Rangerhöhung ein, die niemand geahnt hatte, und die die einst für ihre Selbständigkeit kämpfenden alten Dürrwanger mit Stolz und Genugtuung erfüllt hätte, wenn sie es hätten erleben dürfen. Wegen dringenden anderweitigen Bedarfs mußte das Rathaus Frommern auf dem Fronhof im Jahr 1992 geräumt werden. Das ehemalige Rathaus Dürrwangen sollte als Interimslösung bis zur Errichtung eines Neubaus auf Buhren für einige Jahre als offizieller Sitz der Ortschaftsverwaltung Frommern in Dienst genommen werden. Doch die Herrlichkeit währte nicht lange. Platzmangel ließ keinen ordentlichen Dienstbetrieb zu. Es herrschte drangvolle Enge. Nachdem der Rathausneubau aufgrund der wirtschaftlichen Situation in zeitlich weite Ferne gerückt ist, mußte eine andere Unterbringungsmöglichkeit für die Ortschaftsverwaltung gesucht werden. Bereits im Mai 1994 wurde das Haus wieder geräumt. Der letzte Stand ist jetzt, daß der Raum der Narrenzunft Frommern als Vereinslokal dient (*inzwischen befindet sich in diesem Raum das Schwäbische Kulturarchiv; Anmerkung der Red.). Die darüberliegende Wohnung nutzen der Schachverein und die Volkstanzgruppe. Nachdem es um den Zustand des Hauses in den Nachkriegsjahren nicht zum besten stand, wäre eine wohlmeinende Renovierung in den Jahren 1956/57 beinahe zu seinem Verhängnis geworden. Sensibler Umgang mit alter Bausubstanz war damals kein Begriff. Modern und funktional sollte das Haus erscheinen. Mit dickem Zement- putz wurde das Haus übergangen. Moderne Verbundfenster ohne Sprossung wurden eingebaut, einhergehend mit einer Fassadenveränderung zur Ebinger Strasse. Das stattliche, zweiflügelige Portal wurde ersetzt durch eine normale, einfache Haustüre. Das ehemalige Rathaus von Dürrwangen wurde in ein zwar stattliches aber nichtssagendes Gebäude verwandelt. Das Baudenkmal mußte man hinter der Kaschierung finden. Und dies ist ab 1979 geschehen. Die Volkstanzgruppe Frommern, unter ihrem unermüdlichen und kreativen Leiter Manfred Stingel suchte Vereinsräume und bewarb sich um den Ökonomieteil des Hauses. Mit der Zusage der Stadt, ihrer Förderung und dem Einsatz von finanziellen Mitteln, löste dies bei der Volkstanzgruppe eine unglaubliche Dynamik aus. Erst jetzt wurde erkannt, daß das 1796 erbaute Haus als Baudenkmal zu werten ist. Man wurde ihm gerecht, indem man, soweit es möglich war, das Haus äußerlich in seinen Urzustand zurückversetzte, wie Öffnung der zugemauerten Giebelfenster, Einsetzen von Sprossenfenstern und Wiedereinbau einer doppelflügeligen Eingangstüre. Für die Tore des Ökonomieteils mußte ein Kompromiß geschaffen werden, um die dahinterliegenden Räume entsprechend nutzen zu können. Doch die Torsituation konnte man erhalten. Die Dachgauben sind neu zur Belichtung der im Dach geschaffenen Schlafräume. Sie stören das Bild des schönen Sichtfachwerkhauses nicht. Gerade dieses Sichtfachwerk rückt das Haus heute so ins Blickfeld und hebt es als etwas Besonderes im alten Ortskern von Dürrwangen heraus. Die Stadt Balingen nahm diese Hausrenovierung zum Anlass einer Ortskernsanierung von Dürrwangen mit dem neu geschaffenen Dorfplatz. Mit der erneuten Außenrenovierung im Jahr 1995 wurde die Schönheit des Hauses zu seinem 200. Geburtstag noch besonders hervorgehoben.

Hans Kratt